Einige Gedanken zu Lana Del Rey – und der Kritik an ihr
„Eine Kritik, anders ausgedrückt, die das Begehren der Menschen nicht mit einberechnet, ist nichts wert.“
Lukas Foerster
„Hope is a dangerous thing for a woman like me to have/ Hope is a dangerous thing for a woman with my past“
Lana Del Rey
Die Muschi einer Frau, die heißt wie ein alter Hollywood-Star und ein altes Auto, kann nur nach Pepsi schmecken.
Heißt das, dass das, was Lana Del Rey in ihrer Kunst verkörpert, nichts weiter ist als eine fleischgewordene, besonders garstige Männerfantasie?
Die Antwort darauf lautet aus mehreren Gründen: Nein.
Denn zum einen heißt sie eben wie ein alter Hollywood-Star und ein altes Auto – was u. a. bedeutet, dass Kunst bei ihr immer schon von Künstlichkeit kommt. Subjekt und Objekt: Ihre Kunstfigur und das, worüber sie singt, sind nie anders als in popkultureller Vermittlung denkbar. Sie reproduziert, genauer, das ist wichtig: interpretiert bestehende Bilder *n*e*u* – und: In diesen drei Buchstaben manifestiert sich ihre Kunst. Bilder, die man bestimmt nicht mögen muss. Aber ob das wirklich eine politische Frage ist – oder aber eine des (sogenannten guten) Geschmacks, ist (auch) eine wichtige Frage, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann.
Jedenfalls macht Lana Del Rey verdrogt klingende Musik über verdrogte Menschen. Die Rollen, in die das lyrische Ich ihrer Songs schlüpft, sind Groupies oder Junkies, Säuferinnen, Hollywood-Starlets, Herumtreiberinnen, mehr oder weniger junge Frauen, die auf ältere Typen oder Kindmänner stehen, Frauen, die teuflische Männer vergöttern (Es stimmt sicher, was Emma Madden in einem kritischen Text schreibt, dass auf Lanas Bücherregal eher Charles Bukowski als Judith Butler steht; die falsche Glorifizierung von ungesunden Beziehungen und Selbstzerstörung ist sicher keine allzu gute Idee, egal von wem sie kommt, aber nicht nur, dass nur am Einzelfall entschieden werden kann, ob das zutrifft – sich daran zu stören, dass hier nun mal eine Frau einen bestimmten Lifestyle, den es halt einfach gibt, aus ihrer *fiktionalisierten* Perspektive beschreibt, dass Kunst, die eindeutig für Erwachsene gemacht ist, nur nach Repräsentation abgeklopft und damit letztlich als Handlungsanweisung verstanden wird, ist kunstfeindlich – und letztlich auch bigott).
Es geht in ihren Songs darum, zugedröhnt am Strand rumzuhängen. Die Musik dazu ist in ihrer bleiernen, zerdehnten Schwere samtweich. So wie Lanas Stimme (und die Melodien, die sie stets selbst schreibt), die ihr unangefochtener Mittelpunkt, das, was den Ton angibt, ist. Der Sex, um den es in den Songs geht, jedoch, soll meist vor allem eins sein: hart. Die Drogen auch. Und damit schließlich auch: das/die Leben. Und dann viel davon, sehr viel. Von allem. Die Alben voller Songs, bei denen ihre Zunge sediert am Gaumen zu kleben scheint, als hielte sie beim Singen in der einen Hand ein Feuerzeug, in der anderen ein Blech, sind lang, die einzelnen Songs oft auch. Dementsprechend liefern diese Alben ein Maximum an ungesunden Beziehungen, Sex, Drogen, auch (Ultra-)Gewalt und (weiblichem) Außenseiterdasein. Und: die Musik, die sich anhört wie Opiate, verhält sich zu dem Lifestyle, den sie beschreibt, zur Liebe, die von der Depression, die sie auslöst, nie ganz zu trennen ist, dann immer auch ein wenig wie Methadon zu Heroin, als Substitut: „I lost myself when I lost you/ But I still got jazz when I get those blues“. Die Identitäten, Alter Egos, die das Alter Ego Lana Del Rey (sie heißt, wie man – an dieser Stelle sehr passend – so sagt, bürgerlich Elizabeth Woolridge Grant) an- und auszieht wie ein weißes Nachthemd oder das rote Partykleid, kommen ganz zu sich, wenn sie weinen, während sie kommen. Denn es geht nicht um das Geld und die Drogen, die Partys und die Clubs, sondern um das trügerische Freiheitsversprechen, die Suche nicht „nur“ nach Spaß, sondern letztlich nach Liebe und Glück, die all dem zugrunde liegt. Nur kann das alles eben immer nur so weit entlarvt werden, dass diese sich im Sound langsam schleppende, aber dennoch rastlose Suche mit etwas verschobener Perspektive, in etwas anderer Beziehungskonstellation, im nächsten Song weiter gehen kann.
Dass sie – aufgrund von Kritik – eine Zeile wie „He hit me and it felt like a kiss“ nicht mehr singt, kann man ihr natürlich nicht verübeln. Aber: Ist diese Zeile denn etwas anderes als eine besonders drastische Zuspitzung dessen, worum es bei ihr immer geht?
Um Männer, die Arschlöcher sind und (u. U.) zuschlagen, und Drogen, die hart sind und (immer) knallen – und darum, wie frau sich mit beidem zugrunde richten kann. Oder auch nicht. In Heroin träumt sie zuerst von Heroin („how it gave you everything and took your life away“), im letzten Refrain dann aber von Marzipan, davon ihr Leben endlich zu verändern, ihren „old man“ zu verlassen, und die letzten melancholisch-melodisch gesprochenen Worte des Songs lauten dann: „Ohh, I’d be lying if I say I wasn’t sick of it“. Die folgenden und letzten beiden Songs ihres vierten Albums Lust For Life heißen dann Change und Get Free.
Ja, Lana Del Reys Kunst reproduziert mediale Bilder von Sucht und toxischen Beziehungen, eignet sie sich an, spinnt sie weiter. Es geht in ihr um die, nun ja, dicke weiße Linie zwischen einem – immer als solchem gekennzeichneten – Bild von Freiheit, einem „wilden“ Leben auf der einen und Abhängigkeit und Verzweiflung auf der anderen Seite. Um die Liebe zu Männern, die sie nicht verdienen, oder braunem Pulver, das unterm Strich noch nie jemanden glücklich gemacht hat. Und schon darin, dass die Mischung ihrer Themen zeigt, wie ähnlich beides ist (oder zumindest: sein kann), liegt der (mögliche) Erkenntnisgewinn.
Aber da ist noch etwas, mit einem Wort: Schmerz. Auch wenn der Referenzrahmen der selbst proklamierten Tochter von Elvis und Marilyn immer die amerikanische Populärkultur in ihren selbstzerstörungsaffinieren Momenten ist; auch wenn die Kunstfigur Lana Del Rey – zumindest en detail – wohl nicht allzu viel mit dem realen Menschen Elizabeth W. Grant zu tun hat – der Schmerz, der sich in ihrer Musik artikuliert, ist echt. Der Schmerz darüber, dass die Suche nach Freiheit in selbst gemachte Gefängnisse führen kann, darüber, an all den falschen Orten nach Liebe zu suchen, bei den falschen Menschen, den falschen Pop-Idolen, darüber, dass die Frau, die vögeln will, mit wem immer sie will, sich reinpfeifen will, was immer sie will, u. U. irgendwann nur noch die „Bowery bums“ als soziales Bezugssystem hat – und eine Nadel im Arm.
Schlussendlich – und genau diese Ambivalenz macht das alles so toll – passt bei ihr zwischen Glorifizierung und Kritik der Bilder, die sie aufruft, mit denen sie spielt, kein Blatt. Sprich: Form und Inhalt, Text und Sound werden eins: Ihre Songs klingen tatsächlich so sehr, wie sich sedierende Drogen anfühlen, wie irgend möglich. Und also macht Lanas Musik – noch mal: nicht unbedingt Elizabeth – was sie nun mal macht: Sie nimmt einen Zug von der Kippe, einen vom Blech, spült zwei Valium mit einem großen Schluck Bourbon herunter – und erzählt uns dann von der schwierigen und schmerzhaften, aber eben auch sehr aufregenden Liebe zu Männern mit Kokain-Herzen.